Offene E-Mail - An: ...

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Herbert Bremm
Offene E-Mail - An: ...
ISBN: 978-3754115480
Format: Taschenbuch, A6
Seiten: 127
Preis: 8.99 €


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Leseprobe


An: johannes.gutenberg@united-printers.com

Sehr geehrter Herr Gutenberg!
Erfinden Sie eigentlich immer noch? Dann legen Sie doch mal eine Pause ein. Es ist E-Mail für Sie da. Mit der irdischen Schneckenpost sind Sie ja überhaupt nicht zu erreichen. Sie sind ja so weit weg. Also versuche ich es mit dem allerneusten Nachrichtenmittel, dem Internet. Was mir neulich passiert ist, das muss ich Ihnen schreiben.

Ich saß vor meinem Setzkasten und hatte eine Schreibblockade. Die Taste ist immer noch nicht erfunden, die einem da weiterhilft. Ich war frustriert. Um mich abzulenken, ging ich mit den Fingern über der Tastatur auf Entdeckungsreise. Ohne das richtige Maß für den praktischen Gebrauch der Buchstaben einzuhalten, manipulierte ich mutwillig die Größe der Schrift. Das kann ich tun auf meinem Personal Computer. Schriftart: Times Roman. Schriftgrad: 1600 (statt 12). Ich drückte die Enter-Taste, und mein sowieso schon nur spärlich vorhandener Text war mit einem Mal verschwunden. Vom unteren Bildschirmrand ragte stattdessen der elegant geschwungene Sockel einer griechischen Säule auf. Ich schob mich mit ein paar Mausklicks an dem schwarzen Säulenkörper hoch, der durch einen waagerechten Balken unterbrochen wurde, sich dann aber doch weiter fortsetzte, bis zum Ende der Säule, wo an den Bogen einer Straßenlampe ein ästhetischer Wassertropfen angehängt war. Kleines " f ", leicht zu erraten. Beim nächsten Buchstaben verlor ich in den Schlingen und Rundungen die Übersicht, bis ...






An: lieber.gott@heaven.gov

Lieber Herr Gott!
Zwischen den Menschen läuft die Kommunikation reibungslos, wie geschmiert. Das liegt am digitalen Datenverkehr. Aber was ist, wenn ich die Absicht habe, Dir eine E-Mail zu schreiben, funktioniert das überhaupt? Über die technische Seite des Problems, über eine geeignete Datenübergabestelle denke ich nicht nach. Die Schwierigkeiten sind ganz anderer Natur. Wenn es hakt und klemmt, dann ist das hauptsächlich auf Differenzen zwischen Dir und mir zurückzuführen. Höchste Zeit also für einen Versuch, die Angelegenheit mal zu formulieren.

Schon wenn ich mich an den Laptop setze, dann bauen sich die Hindernisse auf. Wenn ich die Finger über der Tastatur positioniere, dann sind die Nervenverbindungen zum motorischen Bereich meiner Hirnrinde wie durchtrennt. Ein mentales Problem. Weil mir die Bilder fehlen. Ich löse die Blockade, indem ich mich erinnere. Die Impulse fließen wieder. Tatsächlich, so war das damals: Ich musste den Kopf weit in den Nacken legen. Oben, unter der ausgemalten Decke der Dorfkirche, da sah ich Dich auf dem Wolkenthron sitzen. Graues und langes Haar, wallendes Gewand, ernst und unnahbar. Nicht eben der gute Hirte, der verständnisvolle Vater, dem man sich anvertraut. Jetzt wird mir langsam auch klar, mit unserer Kommunikation stand es bereits damals schon nicht zum Besten. Du hattest mir eine strenge Rapportpflicht auferlegt. Unangenehme Sache, das mit den Sünden. Damit es mir leichter fiele, schlugst Du vor, dass ich meine Verfehlungen auf ...



An: sigmund.freud@soul-study&repair.org

Sehr geehrter Hr. Prof. Freud!
Vor ca. 50 Jahren ist mir Ihre Lehre in den Kopf gekommen, das hatte eine gravierende Wirkung. Dazu möchte ich Ihnen unbedingt mal eine Rückmeldung geben. Das Problem nur, Sie sind seit 80 Jahren tot. Da stellt sich doch die Frage: Wo sind Sie jetzt eigentlich, wo halten Sie sich auf?

Lassen Sie mir meiner Fantasie etwas Spielraum, geben Sie mir eine Chance, mich Ihnen anzunähern. Wo darf ich Sie also suchen? Irgendwo müssen Sie ja doch zu finden sein. Ich spiele das mal in Gedanken durch. Auf der Top-Ten-Liste für Wünsche nach dem Tod steht immer noch das Weiterleben. Wie Sie darüber dachten, das ist ja bekannt. Eine nur allzu menschliche Hoffnung, eine Illusion. Das Paradies? Nein. Glück im Unglück, für Sie! Wie ist das denn im jüdischen Glauben geregelt? Gibt es dort einen Himmel, einen Garten Eden? Die pure Entspannung, permanente Happiness, null Frustration, keine unterdrückten Triebe, kein Über-Ich, keine Neurosen: Da hätten Sie ja nichts zu tun!

Das ist Fakt. Unter den Lebenden weilen Sie nicht mehr. Ihnen persönlich zu begegnen ist definitiv unmöglich. Das ist unabänderlich. Ende. Aus. Ich muss es aushalten. Unwahrscheinlich auch, im Jenseits auf Sie zu stoßen. Nur eins bleibt dann noch übrig, Sie in Ihrem Werk wiederzufinden. Das ist allerdings nicht wenig. Studienausgabe, 10 Bände, 5000 Seiten, jede Menge Briefe, Berge an Sekundärliteratur, dazu noch 17(!) ...



An: immanuel.kant@philosophers.net

Sehr geehrter Hr. Prof. Kant!
Wundern Sie sich bitte nicht über das doch etwas ungewöhnliche Schreiben. Eine E-Mail, das ist die moderne (digitale) Form, sich etwas mitzuteilen. Denken Sie nicht weiter darüber nach, wie das möglich ist. Nehmen Sie es einfach hin. Vorausgesetzt überhaupt, es funktioniert.

Hr. Prof. Kant, ich gehe mal davon aus, dass ich Sie mit diesen Zeilen in so einer Art wohlverdientem Ruhestand erreiche. Da Sie nie über die Umgebung von Königsberg hinauskamen, wird Ihnen eine Unbeweglichkeit in Sachen Reisen nachgesagt. Das aber hat bekanntlich nie zu einer Provinzialisierung Ihres Geistes geführte, ganz im Gegenteil. Sie waren immer bestens vernetzt, immer gut informiert, immer ganz nah dran an den Künsten und den Wissenschaften Ihrer Zeit. Leider reduzieren sich im Alter die Möglichkeiten. Auf die eingeladenen Gäste an Ihrem Mittagstisch und auf den munteren Austausch von Ideen und Gedanken müssen Sie mangels lebender Zeitgenossen lange schon verzichten. Vielleicht ist es da ja eine willkommene und unterhaltsame Abwechslung für Sie, wenn ich Ihnen davon berichte, wie es mir ergangen ist, mich an Ihrem philosophischen Werk zu versuchen. Nehmen Sie also meine E-Mail als die Gelegenheit, mit einem entfernten Land Kontakt aufzunehmen, in das Sie zwar nie reisen werden, aber doch noch in irgend einer geistigen Verbindung stehen.

Lassen Sie mich zuvor aber noch eine ...